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Neuigkeiten

31.01.2022

MigOst-Mitbegründerin Noa K. Ha im Interview

„Dieses Projekt soll wissenschafts- und gesellschaftspolitisch wirken“

Liebe Noa, du warst als damalige Nachwuchsforschungsgruppenleiterin am Zentrum für Integrationsstudien maßgeblich an der Entwicklung und Beantragung des Projekts MigOst beteiligt. Wie kam es zur Projektidee?

Die Idee für dieses Projekt entstand vor dem Hintergrund zweier Feststellungen:

1)    Ich bin eine westdeutsch sozialisierte Person und habe von 2018 bis 2020 an der Technischen Universität Dresden gearbeitet und in der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen, mit Personen der Dresdener Stadtgesellschaft in Verwaltung und Zivilgesellschaft musste ich feststellen, wie wenig ich selbst über die DDR und den Prozess der Wiedervereinigung wusste. Ich war zugleich schockiert (über die Normalisierung rechtsextremer Positionen und Ideologeme im öffentlichen Raum, die scheinbar leichter Grenzen des Sagbaren überschreiten konnten) und fasziniert (von einer agilen Zivilgesellschaft und migrantische Selbstorganisation, die ihr Recht auf Beteiligung, Demokratie und Diskriminierungsfreiheit einforderten). Dieses Selbstbewusstsein hat mich beeindruckt und mein Nicht-Wissen über ostdeutsche Migrationsgeschichte hat mich beschämt.

2)    Neben dieser persönlichen Feststellung sah ich zugleich, wie in wissenschaftlichen Diskussionen die spezifisch migrantische Dimension im Osten nicht zugegen war – sowohl als Geschichte der DDR, der Wiedervereinigung oder des Sozialismus und dem sog. ‚Postsozialismus‘. Sei es, Leipzig eher als ‚prämigrantisch‘ zu analysieren (also als ‚noch nicht postmigrantisch,), sei es, den Osten als eine koloniale Eroberung durch den Westen betrachten zu wollen. Oder die Herabsetzungserfahrung von (westdeutschen) Migranten und (weißen) Ostdeutschen miteinander zu vergleichen und als gemeinsame Erfahrung zu diskutieren. Diese verschiedenen Topoi befassten sich weder mit der Geschichte der ostdeutschen Arbeitsmigration, noch mit der ostdeutschen rassistischen Gewalt, noch der (ambivalenten) Kolonialität der DDR (ich denke hier an die Geschichte des Kaffeeanbaus in Vietnam; ambivalent deswegen, weil es eine dezidierte antikoloniale Staatspolitik gab, wie es sich in Straßennamen niederschlug, wie z.B. die ‚Patrice-Lumumba-Straße‘ in Dresden).
Diese Auslassungen in Kombination mit einer deutschen Migrationsforschung, die vor allem die westdeutsche Geschichte und Perspektive zentriert, waren eine ernüchternde und niederschmetternde Feststellung. Denn es war genau dieses Narrativ einer homogenen (weißen) DDR-Gesellschaft und Post-DDR Gesellschaft, die nicht durch Forschung infrage gestellt wurde und keinen Blick auf die Pluralität der migrationsgesellschaftlichen Realität warf. Zugleich wurde diese Erzählung von einer homogenen DDR und Post-DDR Gesellschaft von den extremen Rechten besetzt, um den Beginn einer Migration in den Osten auf das Jahr 2015 zu setzen – also jenes Jahr, in dem viele Menschen vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Europa flohen. Die extreme Rechte konnte erfolgreich politisches Kapital aus dieser Erzählung schlagen. Daher sah ich eine gesellschafts- und wissenschaftspolitische Dringlichkeit (und Notwendigkeit) dieser Erzählung zu begegnen, und nicht den autoritären Rechten zu überlassen.


Es ging dir also um ein Projekt, das sowohl auf einen wissenschaftlichen wie auch einen gesellschaftlichen Bedarf reagiert?

Genau. MigOst soll sowohl die Migrationsgeschichte in die DDR sowie Post-DDR systematischer erfassen, als auch die Perspektive derjenigen stärken, die bislang an den Rand bis in die Unsichtbarkeit gedrängt wurden.
Dieses Projekt soll wissenschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch intervenieren und hier einen neuen Dialog- und Wissensraum ermöglichen, in dem die Geschichte derjenigen zentriert wird, die weder in der Migrations- noch in der Transformationsforschung besonders beachtet wurde.

Das Projekt – gefördert im BMBF-Programm Bürgerforschung – verfolgt dezidiert einen partizipativen Ansatz. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich aus einer partizipativen Forschung, insbesondere im Bereich der Migrationsforschung?

Die Frage der Wissensproduktion (wer produziert welches Wissen über wen) ist eine Frage, die sich durch meine Forschung zieht. Denn gerade aus einer rassismus- und kolonialismuskritischen Perspektive ergeben sich hier ethische Herausforderungen an den Forschungsprozess. Die europäische und eurozentristische Wissenschaft war schließlich maßgeblich daran beteiligt, Rassismus zu verwissenschaftlichen und einen eurozentristischen Blick zu etablieren. Menschen wurden zu Objekten der Forschung und in rassische Kategorien eingeteilt, ihnen wurden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Und die hiesige Migrationsforschung hat mit einem Blick auf die migrationsbedingten Veränderungen nationaler Gesellschaften dazu beigetragen, dass nun migrantische Gruppen untersucht und zu nationalen Anderen wurden. Diese Grenzziehungen durch Wissensproduktion verweisen auf gesellschaftliche Machtverhältnisse und auf die Frage, wer entscheidet, wer was für wen bedeutet.
Wie würde ein Forschungsprozess aussehen, der nicht die einen beforscht und man selbst als Forschende alles interpretiert, sondern wenn hier andere Kooperationsformen installiert würden? Daher sehe ich im Ansatz der Bürgerforschung eine Möglichkeit, diese Frage der gemeinsamen Wissensproduktion zu konzipieren. Ein Konzept, das über Partizipation im Sinne einer Beteiligung hinausgeht und vor allem auf partnerschaftliche Strukturen zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Akteuren, einer Stärkung (migrantisch-diasporischer) Zivilgesellschaft und mehr Selbstbestimmung für diejenigen, die oftmals auf marginalisierte Positionen verwiesen werden, abzielt.
Dieser Prozess wird auch mit Konflikten einhergehen, weil dem Projekt ein Verhandlungsprozess innewohnt, an dem alle beteiligt sind und der von allen getragen werden muss. Hier muss viel Vertrauensarbeit in eine Struktur geleistet werden, die ungleiche Strukturen nicht gänzlich überwinden kann.
Aber ich sehe hier das Potential, neue Wege zu beschreiten und sich als Wissenschafler*innen kritisch mit der eigenen Forschungspraxis zu befassen. Zudem erhoffe ich mir eine Stärkung der migrantisch-diasporischen Zivilgesellschaft, die eine eigene Perspektive auf Erfahrungen und Lebenswirklichkeit formuliert und diese selbstbewusst in eine plurale Stadterzählung einbringt. In meinem Verständnis von partizipativer Forschung soll ein Prozess der Verhandlung zwischen den Forschungsbeteiligten initiiert werden, um die bestehenden Machtverhältnisse im Forschungsprozess zu hinterfragen, zu unterlaufen und neu zu justieren.


Als Mitglied des MigOst-Projektbeirats verfolgst du das Projekt intensiv mit. Wie hat sich das Projekt aus deiner Sicht verändert?

Ja, ich verfolge das Projekt intensiv mit, weil ich eigentlich damals gehofft hatte, das Projekt selbst zu leiten. Aufgrund meines Weggangs von der TU Dresden an das DeZIM in Berlin verblieb das Projekt an der TU Dresden – und ich bin sehr froh und dankbar, dass Karoline Oehme-Jüngling die Projektleitung übernommen hat. Wir hatten in Dresden eng zusammengearbeitet und ich habe ihre Professionalität, Umsichtigkeit und Offenheit sehr geschätzt und darüber hinaus ist sie eine sehr gut vernetzte Wissenschaftlerin in die Zivilgesellschaft. Die ausgeschriebenen Stellen sind mit jungen und fähigen Wissenschaftler*innen besetzt worden, die z.T. eigene migrantisch-diasporische Erfahrungsräume mitbringen.
Ich bin sehr angetan, mit welchem Elan, Enthusiasmus und mit welcher Selbstkritik die Arbeit umgesetzt wird. Und das unter den schwierigen Bedingungen der Pandemie, die gerade Projekte, die auf Präsenz und Vertrauensbildung angewiesen sind, ungemein erschweren! In diesem Sinne orientieren sich m.E. die erfolgten Veränderungen an den Prämissen des Forschungsprojektes und tragen zu einer Verbesserung bei.

Was möchtest du dem Projekt, aber auch den am Projekt beteiligten migrantischen Selbstorganisationen (MSO) und Einzelpersonen mitgeben?

Ich möchte allen beteiligten ein großes Lob mitgeben dafür, sich hier neue Räume miteinander in den jeweiligen lokalen Kontexten, aber auch in der Wissenschaft erarbeitet zu haben und weiter daran zu arbeiten. Ich bin sehr neugierig, wie sich das Projekt weiterentwickeln wird und ich freue mich sehr, den Prozess als Beirätin begleiten zu dürfen. In diesem Sinne: Weiter so!

Foto: Noa K. Ha

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