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02.12.2021

Interview mit Patrice Poutrus

„In den Massenmedien, der politischen Bildungsarbeit und auch an den Schulen wird ein Bild der homogen weißen Alltagsgesellschaft gezeichnet“

Lieber Patrice, du bist Historiker und giltst als ein Experte im Feld Migration in der DDR. Wie bist du zu dem Thema gekommen?

Also Historiker wurde ich, weil ich wissen wollte, warum das mit der DDR nichts geworden ist. Warum die Leute so unzufrieden mit ihrem Leben im Sozialismus waren, obwohl sie satt zu essen hatten. Warum sie sich dem Kapitalismus zugewandt haben und wieso ich das alles so nicht habe kommen sehen. Deshalb habe ich über den Zusammenhang von Konsum und Herrschaftssicherung in der DDR promoviert. Als ich gerade dabei war, meine Doktorarbeit – die Erfindung des Goldbroilers – fertig zu stellen, da überrollte um die Jahrtausendwende Ostdeutschland wieder eine erneute Welle rassistischer Gewalttaten und die Debatte dazu war so unsäglich wie die in den frühen 1990er Jahren. Die rassistischen Gewalttäter galten erneut als Opfer systemischer Ungerechtigkeiten und die Gewaltopfer waren halt zur falschen Zeit am falschen Ort und dann auch wieder: Sowas hat es früher nicht gegeben. Das hat mich einfach zornig gemacht. Es gab kaum gute Forschungen in der Sache, aber unglaublich massive Urteile, die sich bis heute halten. Meine Kolleg*innen und ich haben damals ein Thesen-Papier geschrieben, in dem wir nicht mehr behauptet haben, als dass diese Gegenwart auch eine Geschichte hat, die nicht erst 1990 begann und dass es Zeit wäre, für systematische und gründliche Forschung zu Migration und „Fremdenfeindlichkeit“ – wie wir es damals nannten – in der Mauer- und Misstrauensgesellschaft DDR.

Du und andere forschen bereits seit den 1990ern zu Themen um Migration in der DDR und Ostdeutschland. Gleichzeitig sind diese Ergebnisse wenig sichtbar im öffentlichen Diskurs. Woher rührt die Diskrepanz?

Das ist in der Tat ein schwieriges Problem, aber nicht nur in diesem Feld, also Migration in der DDR. Auch zur Geschichte des Kaiserreichs, Stichwort Kolonialismus, zur Geschichte der Weimarer Republik, Stichwort Rassismus in der Metropolen-Gesellschaft, zur Geschichte des NS, Stichwort Kollaboration der Volksgemeinschaft, und zur Geschichte der Bundesrepublik, Stichwort der lange Schatten des NS-Verbrechen, gibt es gute Forschungen und seltsam resistente Positionen, die der deutschen Mehrheitsgesellschaft letztlich eine Opferrolle zuweisen; und so ist es auch hier. In den Massenmedien, der politischen Bildungsarbeit und auch an den Schulen wird ein Bild der homogen weißen Alltagsgesellschaft gezeichnet, das verflixte Ähnlichkeiten mit dem hat, was der SED-Staat über den gesellschaftlichen Alltag in der DDR erzeugte. Das ist so hartnäckig, da kommen einzelne gute Forschungsarbeiten von Geisteswissenschaftler*innen nur schwer gegen an und in gewisser Weise ist das ja auch eine Form von Identitätspolitik, wenn kritische Einwände aus der Wissenschaft immer wieder in der Öffentlichkeit mit den Bemerkungen diskreditiert werden: „zu kompliziert“, „nicht allgemeingültig“ oder gern auch: „nicht objektiv“ usw.

Welche Lücken gibt es in der Forschungslandschaft?

Ich bin mir nicht sicher, ob Lücken in der Forschungslandschaft das größte Problem sind. Desiderate wird es immer geben und die Auseinandersetzungen darum bzw. damit bringen Erkenntnisgewinne. Was es immer wieder mal gibt, das sind Forschungskonjunkturen, die solche Arbeiten ermöglichen. Aber jeder Konjunktur folgt auch eine Krise und dieser Zyklus ist halt keiner, der eine nachhaltige Auseinandersetzung mit konfliktreichen gesellschaftlichen Verhältnissen ermöglicht. Somit ist das viel schwerwiegendere Problem m.E., dass Untersuchungsfelder wie Migration, aber auch Kolonialismus und Rassismus durch keine nachhaltigen Forschungsstrukturen gefördert werden. Der methodologische Nationalismus in den Geisteswissenschaften – innergesellschaftliche Homogenität präferiert – hat offenbar auch eine strukturelle Entsprechung in der deutschen Forschungslandschaft und dies zu ändern würde bedeutet, sich mit etablierten Institutionen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft oder auch der Leibniz-Gemeinschaft anzulegen, und das wäre ohne Zweifel ein Machtkampf um Ressourcen und Einfluss.

Bei MigOst arbeiten wir gleichzeitig wissenschaftlich und praktisch-aktivistisch. Uns geht es nicht nur darum, neues Wissen über Migration in der DDR/ Ostdeutschland hervorzubringen. Uns geht es auch um ein Empowerment und die Partizipation der Akteur*innen mit denen wir zusammenarbeiten. Was braucht es aus deiner Sicht für eine gelungene Arbeit zwischen Wissenschaft und antirassistischer Praxis?

Erstmal finde ich, das ist ganz schön viel, was ihr euch da vorgenommen habt. In einer komplex strukturierten Gesellschaft, wie der ostdeutschen oder halt auch der bundesdeutschen, halte ich Arbeitsteilung für keine Schwäche, sondern für eine Notwendigkeit, um Überforderungen und Überlastungen zu vermeiden. Aber ich bin ein alter Sack und mag Euch auf keinen Fall entmutigen, denn in der Auseinandersetzung um Repräsentation, Partizipation und Autonomie geht es selbstverständlich um die Produktion von Wissen, dass in der Gesellschaft Veränderungen ermöglichen soll. Zugleich folgen Geisteswissenschaft und gesellschaftlicher Aktivismus Logiken, die nicht identisch sind. Es wäre verfehlt sich nur Wissensbestände aufzurufen, die einer politischen Mobilisierung dienen. Was im Übrigen ein sehr alter Konflikt aus der Geschichte sozialer Bewegungen ist. Umgekehrt läuft eine selbstreferentielle Forschung Gefahr zur reinen Scholastik zu werden und ein Aktivismus, der auf kritische und unabhängige Reflektion verzichtet, kann schnell zum Selbstzweck verkümmern. Das sind auch keine neuen Einsichten. Ich denke, es sollte darum gehen, dass zwischen wissenschaftlicher und aktivistischer Arbeit ein affirmativer Kommunikationsprozess aufrechterhalten muss, der beiden Seiten Eurer Arbeit eigene Geltung sichert. Das wird schwierig genug werden.

Patrice Poutrus ist Historiker und Migrationsforscher mit Schwerpunkt auf DDR und Ostdeutschland. Er untersuchte u.a. die Rolle und Lebenssituation von politischen Emigrant*innen in der DDR. Weiterführend erschien 2019 sein Buch "Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart" im Christoph Links Verlag. Seit dem gleichen Jahr arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erfurt und forscht dort im BMBF-Forschungsverbund „Diktaturerfahrung und Transformation“ zur Familienerinnerung an die DDR in Thüringen. Zudem berät Patrice Poutrus unser Projekt als Beiratsmitglied.

Das Interview mit ihm führte MigOst-Projektmitarbeiterin Katharina Warda.

Foto: Marco Fechner

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